Gadgets, Nerds und die Kunst, mir selbst zu gehören

Die meisten von uns verbringen inzwischen einige Stunden am Tag vor Bildschirmen. Da ist es nur natürlich, dass die Geräte, vor denen wir sitzen, stärker in den Vordergrund rücken. Oder? Ist das so? Ist das wirklich so wichtig, ob ich einen 16 oder 17 Zoll grosses Laptop habe, ob ich ein Chromebook oder einen Mac verwende, ein IPhone oder ein Samsung? Ob der Speicher um 100 GB oder sogar Terabytes zunimmt, die Auflösung schärfer geworden ist und mir meine Apple Watch inzwischen als Wecker dient?

Welchen positiven Einfluss haben solche Features tatsächlich auf unser Leben? Gewinnen wir hier wirklich etwas, oder sind wir im Grunde nur die grossen Verlierer und sich verneigende, demütige Kunden vor den neuesten Gadgets? Apple Shops und Mediamarkt sind zu einer Art Hobby geworden, noch mehr das Stöbern auf Webseiten nach Neuigkeiten und Angeboten. Eine ungeheure Flut von Videos lässt sich darüber aus, was das nächste IPhone oder Samsung Galaxy bringen werden. Wirklich? Ist das so prickelnd? Ist es das, was man sich gemeinhin so wünscht? Mit den neuesten Trends für Keyboards von Netbooks aufzuwachen?

Ich muss mich schon mal – eben auch für mich selbst – fragen, ob das eine Entwicklung ist, der ich mich weiter ausliefern möchte, oder ob es nicht langsam an der Zeit wäre, aus dem Karussell auszusteigen.

Nerds

Will ich wirklich der Welt der Nerds huldigen? Nein. Warum nicht? Nerds sind hochgradig unsexy – zumindest die meisten. Für Menschen haben sie nicht viel übrig. Sie leben deviceorientiert. Wie der Wecker klingelt ist ihnen wichtiger als wann und ob er überhaupt klingelt.

Es ist ein Menschenschlag, der zwar einerseits ganz cool sein mag, dem aber das Gefühl für Menschliches und Allzumenschliches gänzlich abgeht. Er hat keine Klasse, keinen Sinn für das Schöne und überhaupt keinen Charme.

Man sieht in die Welt, wenn man aufschaut. Die Natur, Fauna und Flora, sind so viel älter als wir. Sie schreien uns an und lachen uns aus. Da ist der Schmerz, aus dem heraus sie uns zurufen, endlich unsere Überheblichkeit abzulegen. Und da ist die Schönheit und Vollkommenheit, die sie im Kleinsten noch verkörpern, ein Takt, ein Zusammenspiel allen Lebens, das wir zunehmend zerstören, weil wir nur noch in Bildschirme schauen, uns abwenden und aufhören zu fühlen. Wir alle spüren die Kälte und ein unbestimmtes Unbehagen, ja einen tiefen Schmerz. Hier steht seine Wiege.

Schlau sein und weise sein sind zweierlei. Ich kann etwas wissen und ich kann etwas wissen. Es ist unsere höchste Aufgabe, Kindern diesen Unterschied zu vermitteln. In ihm liegt alles, was unser Menschsein ausmacht. Grösse, das ist auch Demut und Achtung.

Glücklicherweise stellt sich gegenüber Nerds und Devices – bei Nerds schneller – dann auch irgendwann eine gewisse Sättigung ein. Man beobachtet zwar noch, was sich tut, wünscht sich aber heimlich, die Welt wäre 2005 stehen geblieben.

Der technologische Fortschritt ist ein heimlicher Gleichmacher und hat Charme und das Abenteuer des Seins aus unseren Leben vertrieben. Wir verlaufen und verfahren uns jetzt nicht mehr, weil wir Google Maps haben. Ich kann die Frau, die mir gefällt, jetzt nicht mehr einfach mal nach dem Weg fragen. Das nimmt mir niemand mehr ab. Ja, ich darf mich nicht mal mehr selbst verlaufen. Im Schlendern liegt inzwischen etwas Verwegenes.

Wie soll ich der Welt der Nerds und Millennials erklären, worin der Vorteil eines Buchs gegenüber einem E-Book liegt? Es liegt in einer Hand wie ein Schatz. Ich habe es gelesen und wieder gelesen, habe Anmerkungen gemacht. Es gibt Stellen, die schlage ich automatisch auf und weiss, dass sie mir sagen, was ich in diesem Moment brauche. Ich habe Kaffee darüber geschüttet, als ich aus dem Sessel hochgeschreckt bin als meine Freundin angerufen hat, um mir zu sagen, wie sehr sie mich vermisst. Ich habe mir den Don Quijote unter den Kopf gelegt, als ich eine Stütze gebraucht habe, um auf der Wiese in den Himmel zu schauen. Und kämpfe wie er gegen Windmühlen, wenn ich versuche zu erklären, was für eine grosse Schlacht es auszufechten gilt. Ich will in diese Schlacht hinein und suche noch immer meine Dulcinea.

Und das ist der Moment, in denen mir Nerds wieder für einen Moment sympathisch werden. Dann nämlich, wenn ich zu melancholisch werde, oder einfach nur sentimental. Daran ist nichts falsch. Aber Bits und Bytes und die Möglichkeit, mein Sein auf Einsen und Nullen zu reduzieren, helfen mir definitiv aus meiner Lage, wenn ich drohe, ins Schnulzige abzudriften. Darüber hinaus bleiben sie für mich, was sie sind. Eben einfach Nerds.

Dauerverfügbar und dauertransparent

Wir sind inzwischen dauerverfügbar und dauertransparent. Und dadurch in weiten Teilen zum Produkt anderer geworden. Wenn ich aber in Youtube zum Produkt avisiere und den Werbeeinnahmen von Google in die Hände spiele, wenn man mich online an den Eiern hat und meine Nutzung von Youtube an den Meistbietenden verhökert wird, weil Google und Facebook schon wissen, was ich als nächstes tun werde, bevor ich es selbst weiss, dann fühle ich mich nicht mehr als Herr meiner Lebenslage. Dann bin ich tatsächlich stärker gesteuert als ich selbst steuere. Je mehr ich das zulasse, desto stärker entziehe ich mich mir selbst und komme mir also abhanden.

Sich selbst gehören

Ich will mir aber weitestmöglich selber gehören. Die geballte technische Power einer Welt, die wir längst nicht mehr verstehen, steht hinter den Big Five. Und wir kommen kaum mehr um sie herum. Vor allem nicht um Google. Ohne Facebook ist ebenfalls schwierig, zumindest im Hinblick auf Whatsapp – wobei das vielleicht noch möglich wäre. Apple ist grossartig. Will ich wirklich ohne mein Macbook sein? Nein, eher nicht. Und Amazon? Amazon funktioniert ausgezeichnet. Amazon liefert, und meine Erfahrungen sind bis dato positiv. Meine Erfahrungen in realen Geschäften sind hingegen inzwischen schlechter geworden.

Will ich also wirklich in einer Welt ohne die Big Five leben? Ja und nein. Es fehlt mir Diversifikation.

Nun leben wir aber in einer “The winner takes it all” Welt. Und die Gewinner dieser noch ziemlich neuen Zustände akkumulieren eine ziemlich gruselige Macht. Das wiederum macht es wirklich schwierig. Wer so mächtig ist, dass er das Bruttosozialprodukt mancher Staaten der westlichen Welt in den Schatten stellt, der sollte im Sinne der Allgemeinheit besser nichts Böses im Schilde führen.

Nun ist die Auswahl der mächtigsten Männer auf dem Planeten aber leider nicht abgelaufen wie die spirituelle Ausschau nach dem nächsten Dalai Lama. Man würde sich hier zwar ein göttliches Prinzip wünschen, aber ich kann es leider nirgendwo finden.

Das Ganze löst sich zumindest teilweise auf, wenn ich mir vor Augen halte, wofür ich lebe, was also die Kernrollen und Aufgaben in meinem Leben sind. In diesem Kompetenzkreis nutze ich weitestgehend eigene Systeme. Google, Apple und Co. unterstützen diese Systeme, allerdings im Sinne meiner eigenen Sache.

Die Tiefe, in der die Big Five mich beeinflussen oder nicht, hängt also wesentlich, ja beinahe ausschliesslich davon ab, inwieweit ich in der Lage bin, mich auf meine Kernaufgaben zu konzentrieren und ich mich also nicht ablenken lasse.

Fremdgehen wird bestraft, Bei Sich Bleiben wird belohnt. Wenn ich bei mir bleibe, bin ich weniger Ware. Das war eigentlich schon immer so, jetzt aber ist es offensichtlicher.

Dabei würde ich gerne mal nach Hause kommen. Wie war das doch damals noch, als wir Kinder waren? Vater kam am Abend nach Hause. Wenn ich nach Hause kam, dann war meine Mutter da. Es war gelebte Familie, mit Haus, Hof und Zufahrt, mit Liebe, Streit, Lebensabschnitten, Diskussionen, Feiertagen, Karneval und Schulbetrieb, mit Klassenarbeiten, Fussball- und Tennisturnieren, Liebschaften, Küssen und Parties.

Ich kann nach Hause. Dort finde ich – glücklicherweise noch – meine Mutter. Aber die Parties sind gefeiert, die Welt meiner Jugend liegt weit hinter mir. Ich habe inzwischen so einige Horizonte überschritten, ich bin ganz woanders.

Mein Heimkommen schaut anders aus. Es besteht schlichtweg darin, dass ich mein eigenes Ding drehe. Ich komme nach Hause in meiner Tätigkeit. Darin finde ich mich wieder. Sie beschützt und behütet mich. Ich gehöre mir mit jedem Mal mehr, wenn ich mich meinen Aufgaben widme. Umgekehrt entferne ich mich von mir, wenn ich mich ablenken lasse.

Ich gehöre mir, sobald ich meinem Stern folge. Dieser Stern, das ist mein Ding. Es ist, wofür ich mich entschieden habe. Es ist die Leistung, die ich erbringe im Rahmen meines Kompetenzfeldes für andere. Es ist ein Dienen, das ich unaufgeregt und konzentriert vollziehe.

„Whereever you go there you are“, wusste schon Konfuzius. Und wir steigen nie zweimal in den gleichen Fluss. Es gibt viele Redensarten, die die Flüchtigkeit der Zeit ansprechen, und die damit verbundene Aufforderung, die Gegenwart einzufangen.

Ich gehöre mir, wenn ich ganz bei der Sache bin, ich gehöre mir, wenn ich für die da bin, die mir nahe stehen. Ich gehöre mir in entspannter Hartnäckigkeit beim Bestellen meines ganz eigenen Ackers. Ich gehöre mir, wenn ich weiss, was zu tun ist und zu mir komme in der Gelassenheit konzentrierter Aufmerksamkeit.

Gadgets, Bits und Bytes, sie sind Werkzeuge in diesem Bei-mir-Sein. Sie liegen auf einer Linie mit dem Messer, das mir die Zitrone schneidet, aus der ich mir einen Saft presse, der Tisch, an dem ich sitze, das Kissen, auf das ich meinen Kopf zum Schlafen lege, die Tasse, aus der ich Kaffee trinke. Genauso ist es. Und genauso hat es zu sein.

Und wenn mir Dulcinea dann doch noch begegnet? Dann werde ich mein IPhone ins Meer werfen und sagen, ich hab mich verlaufen. Und alles wird wie damals sein. Eben nur ganz anders.

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