Was ist ein guter Morgen? Ja, scheint schwierig zu beantworten. Oder doch nicht? Aufs Einfachste: Es gibt Leute, für die gibt es kein Morgen mehr. Denn wie schon Goethe wusste – und was wusste Goethe nicht? Oder wie manche behaupten: Alles, was gesagt wurde, wurde von Goethe schon besser gesagt. In Richtung Morgen aus dem Abendland, so aus der hohlen Hand gesprochen wusste also der Grossmeister der Deutschen Literatur: “Der Mensch, er sei auch wer er mag, erlebt ein letztes Glück, und einen letzten Tag.” Und was sollten Goethes letzte Worte gewesen sein. Genau: “Mehr Licht.” Aha, da haben wir´s. Dämmert´s Ihnen? Wenn wir jetzt noch das tiefe Geleit der Totengräber aus dem Hörspiel Augustin von Ambros, Tauchen, Prokopetz hinzu tun, die feinsinnig in den Raum stellen: “Wer früher stirbt, der ist halt länger tot.”
Ja dann, und nur dann, wird die Sache nicht nur rund, sondern beginnt auch ein Gesicht zu haben. Denn wie wahrscheinlich ist es schon, das auch heute für Sie ein neuer Tag anbricht, gemessen an der Ewigkeit, in der Sie noch nicht hier waren und weiter gemessen an der Ewigkeit, die Sie einmal nicht mehr hier sein werden? So gesehen ist es ungeheuer unwahrscheinlich, dass auch heute wieder für Sie die Sonne aufgeht. Jetzt stellen wir noch einen Kaffee dazu, lassen ein paar Vögel zwitschern und das Meer rauschen. Sie grüssen die Frau beim Bäcker und backen sich dann über den Rest des Tages Ihr eigenes Brötchen.
So gesehen, und für den Augenblick in den Mittelpunkt der Zeit gestellt, tun wir gut daran dem gegenwärtigen Moment die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die ihm gebührt. Mit Carpe diem ist nicht zu spassen. Und wie dem Tag, so geht es der Stunde, der Minute, dem gegenwärtigen Moment. Schenken wir der Zeit die Präsenz, die sie verdient. Je aufmerksamer und bewusster wir die Augenblick im Licht einer gelebten Präsenz verbringen, desto besser ist die Qualität unseres Weges.
Was auch immer wir also tun, ist es wert, gut getan zu werden. Oder, vielleicht noch besser: Tun Sie auch gut, was Sie tun, wenn Sie bewusst einmal nichts tun. Denn manchmal bemerken wir die Schönheit des Seins erst, wenn wir in den weiten Raum schauen, aus dem heraus es in unser Leben tritt. Es kommt wie aus dem Nichts. Und diese Leere, aus der alles hervortritt und ist, dieses grosse mysteriöse Etwas, es ist doch alles, so wie der Milchschaum auf meinem Kaffee auch alles ist, und dann wie Perlen sich wieder auflöst und verpufft.
Und wenn wir einmal nicht aufmerksam sind, wenn der Tag, die Stunde und der Porsche auf der Autobahn einmal wieder an uns vorbei rauschen und wir waren nicht dabei, dann ist uns doch auch der Trost des Altmeisters der Deutschen Literatur gewiss, denn auch der wusste schon zu sagen, als es noch keine Sportwagen gab und die Hektik des Tages noch in ihrer Wiege lag: “Das Kalte wird warm, der Reiche wird arm, der Narre gescheit, alles zu seiner Zeit.”
Have a great day…and a good life!