Ein minimalistischer Lebensstil hat mich schon immer gereizt. Ein persönlicher Rekord war vor einigen Jahren – so um die Jahrtausendwende – einmal eine etwa 4 wöchige Reise nach Portugal mit 7,5 Kilo Gepäck. Und wissen Sie was: Mir hat nichts gefehlt, wirklich gar nichts. Wenn man nur ein paar Schuhe dabei hat, dann fällt einem erst gar nicht ein, nach einem anderen Paar zu suchen. Es war wunderbar. Ich hatte meine wichtigsten CDs dabei, ohne Hülle, aber anderweitig etwas geschützt – und gelitten haben sie natürlich trotzdem – ein Handy, ein paar Reklambücher, zwei Hemden, einen Pullover, zwei Hosen, und das wars auch schon soweit. Und doch war alles da, was ich zum Leben brauchte. Ich verbrachte ein paar wunderbare Wochen der Muse, las und lief und schlief und trank zuweilen zu viel von dem an der Algarve so gern gebrannten Medronho-Schnaps, der aber irgendwie nicht wie ein Schnaps, sondern eher wie eine Droge wirkt. Wenn ich ein paar davon getrunken hatte und am Morgen aufwachte, umhüllte mich ein ganz merkwürdiger heller, warmer Nebel. Ich brauchte dann schon wenigstens zwei Kaffee, um mich aus diesem Nebel heraus in einen klaren sommerlichen Tag zu verlieben.
Ich hatte meine Minimalismusphase dann irgendwann hinter mir und das Minimieren wurde eine Weile weniger wichtig. Heute sehe ich, wie wichtig die Auseinandersetzung mit dem Thema Haben und Nicht-Haben ist.
Erst wenn wir bewusst Dinge erwerben und in Besitz nehmen kommen wir von der Konsumspur auf die Lebensspur, und fangen an, auf einem ganz anderen Niveau zu geniessen. Da wir durch die Medien und auch insgesamt durch Druck von aussen, Statusszwang und unsere gesamte Umwelt ständig zum Konsum verleitet werden, tut eine gekonnte Selektion Not. Damit diese Selektion aber erfolgreich stattfinden kann, muss ich mir, bevor ich etwas anschaffe, immer die Frage stellen, was die Anschaffung für mich tut, und was ich für die Anschaffung tun muss.
Eines muss klar sein: Nicht nur wir wollen und erwarten etwas von den Dingen, die wir uns anschaffen. Die Dinge fordern auch etwas von uns.
Mit unendlicher Geduld steht das IPod-Radio neben meiner Badewanne und wartet darauf, abgewischt zu werden, gutmütig aber auch eisern stehen die Windlichter im Wohnzimmer, gläsern dem unsichtbaren Staubwind trotzend, und warten darauf abgestaubt und in einem frischen Strahlen gehalten zu werden. Dinge haben kein Schamgefühl. Sie trotzen dem Leben nackt. Selbst Holzkisten knarren von Zeit zu Zeit gutmütig, und geben Laut, wenn Sie einmal wieder gewaschen und geölt werden wollen. Wir hatten ja alle unsere Erwartungen, als wir uns die Sachen angeschafft haben. Wir wussten nicht, dass wir uns im Moment der Anschaffung gleichzeitig auch als Pfleger und Versorger haben anstellen lassen.
Aber so ist es in der Tat. Unser Umfeld soll uns gefälligst dienen. Aber wir selbst beugen auch unser Haupt und nehmen uns demütig der stillen Geister an, die uns umgeben. Denn das müssen wir.
So gewöhnen wir uns unmerklich daran, uns um die Dinge zu kümmern, die uns umgeben. Und wie schnell wird das alles zu viel. Wenn wir ein grosses Haus haben, dann brauchen wir gleich mal eine Putzfrau und einen Gärtner. Aber auch wenn wir nur eine Wohnung haben, kommen wir wenn wir nicht aufpassen schnell an einen Punkt, an dem der Aufwand, den wir den Dingen entgegen bringen müssen, den Genuss und die Freude, die wir aus ihnen ziehen, überwiegt.
Das funktioniert mit Verpflichtungen natürlich genauso. Ein Vorsitz im Sportverein oder das Ehrenamt im Lyons-Club kostet Zeit: Überlegung für die passende Rede zum Jubiläum, regelmässige Treffen und Telefonate mit Menschen, von denen wir den einen etwas mehr, den anderen dafür aber etwas weniger gern haben. So ist das Leben, sagen wir. Und wahrlich, für viele ist es das. Und wenn wir das wollen, dann ist es ja auch gut so, wenn es das ist.
Oft läuft uns aber das Fass über und schwillt uns der Kamm, weil wir vor lauter Verpflichtungen und Abstaubungen unser Leben dennoch nicht mehr so recht zum Leuchten bringen, und der Wunsch, sich an einem Frühlingsmorgen einfach nur mal an der Küste unter einen Olivenbaum zu setzen und auf die Wellen zu schauen, wird riesengross.
Es ist deshalb gut, wenn wir Anschaffungen im Licht einer angemessenen Klarheit vollziehen und uns auch regelmässig im Loslassen üben und uns von Dingen, Institutionen, zuweilen auch von Menschen lösen, die unsere Energien eher binden, als befreien und strahlen lassen.
Panta Rhei – Alles fliesst. Oder um es mit Goethe zu sagen: “Gleich mit jedem Regengusse, ändert sich dein holdes Tal, Ach, und in dem selben Flusse, schwimmst du nicht zum zweitenmal.”
Wenn uns im Leben alles zu viel wird, dann haben wir uns im wahrsten Sinne zu vieles aufgeladen. Wir haben uns angefüllt mit Dingen, Verpflichtungen, Aufgaben und den Fluss unseres Lebens schlichtweg verstopft. Statt in unseren schönsten Energien zu fliessen, stossen wir uns ständig an alten Schränken, fliegen uns Notizzettel entgegen, stolpern wir über alte Schuhe und verheddern wir uns in Gedankenrückständen, die wie alte Flaschen eigentlich nur ausgespült und entsorgt werden wollen, und uns daran erinnern, was wir alles tun wollten, und dann doch nicht getan haben.
Klarheit braucht Raum, eine gewisse Leere und Zeit. Klarheit und ein minimalistischer Lebensstil sind Ergebnis eines Denkens, das es sich zur Gewohnheit gemacht hat, Neues und Bestehendes in einem dauerhaften Prozess auf ihre Sinnhaftigkeit zu reflektieren und das sich darin gefällt, das Leben auf seine Essenz zusammenzupressen und dort zu geniessen.
“Tant des choses, che j’en ai pas besoin.” sagte schon Rousseau: “Wie viele Dinge gibt es, die ich nicht brauche.” Ja, das meiste brauchen wir nicht. Und wenn wir uns erst einmal an die Freude am Nichthaben gewöhnt haben, wird sie ein heller und freundlicher Begleiter auf unserem Weg.
Fredmund Malik rät in seinem Management-Klassiker Führen, Leisten, Leben ja die regelmässige Müllabfuhr an. Wie wahr. Wir sollten alle regelmässig durch unser Leben schreiten, und mal rechts und links, auf dem Speicher, unter dem Bett und in allen Schränken nachschauen, was wir so alles gar nicht mehr brauchen, was schon Rost angesetzt hat und uns schon lange nicht mehr dient und wofür wir nur noch die Abstauber sind.
Den grössten Zeitgewinn erreichen wir durch Dinge, die wir nicht tun und Anschaffungen, die wir nicht tätigen. Je weniger Herren ich dienen muss, desto mehr gehöre ich mir selbst.
Die Fülle des Lebens ist nicht die Fülle des Habens. Das Leben in Reinform ist ja auch kein Ramschladen, sondern gefällt sich im schönsten Licht, das durch nichts gebremst wird und frei fliessen und strahlen darf.
Der Tag, der mich geboren hat, sehnt sich nach Einfachheit. Er fragt mich nicht, ob ich alle Tassen im Schrank habe. Er will nur eine Tasse für einen guten Kaffee. Die aber schmeckt köstlich, wenn ich sie im Morgentau in meine Hände nehme, und mich das Gefühl am Leben zu sein, in einem klaren Schauen wärmend umfängt.
Have a great day…and a good life!