Was keinen was angeht

Die digitale Welt ist schwer irritierend, wenn es ums Private geht. Es hat sich zu einem guten Grad aufgelöst. Allerdings fällt es schwer, hier mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Es ist einfach passiert. Aufregen hilft nichts. Und obwohl es einfach passiert ist, sind wir selber schuld. Macht aber nichts. Paradoxa sind ja an der Tagesordnung, wenn es um’s ganz normale Leben geht. 

Aber, nicht vergessen: Man kann es wegschalten, ausmachen. Ich kann es noch immer ignorieren und mich devicelos in den Sessel fallen lassen. Ich kann es egal sein lassen, ob jemand etwas von mir will und mich ganz alleine und unverknüpft mit mir selbst aushalten. Ob das ein Behagen, oder aber ein Unbehagen ist – die Antwort fällt für jeden ganz individuell aus. Vielleicht ist es für manchen sogar ein behagliches Unbehagen. Es gibt zwischen den Zeilen ganz merkwürdige Zustände.

Das Digitale ist an sich mal nicht böse. Es ist wie beispielsweise Wasser: Ich kann es trinken oder darin ertrinken. Es kann für mich da sein, oder aber sich gegen mich wenden. Es kommt darauf an.

 

Und der Umgang mit dem Digitalen will gelernt sein. Wenn ich eine Sache beherrsche, dann regt sie mich in der Regel nicht mehr auf. Dann ist es ruhig in mir. Wenn ich eine Technik – beispielsweise beim Tennisspielen – noch nicht beherrsche, dann mache ich zuviel. Ich führe dann Bewegungen aus, die es gar nicht braucht. Ich bin hektisch. Wenn ich den Schlag beherrsche, dann ist es eine ruhige Bewegung. So ist es dann auch mit dem Digitalen. Je mehr ich mich damit befasse, desto mehr richte ich mich damit ein, sehe die zahlreichen Vorteile, und es wird ruhig in mir.

 

Und ein weiterer Vorteil gesellt sich hinzu. Ich kannte eine Zeit, in der es noch keine PCs und Macs gab. Und damit habe ich Zugriff auf ein Arrangement meiner Existenz, das sich Millenials und jüngeren Generationen insgesamt weitgehend entzieht. Ich weiss wie es ist, wenn alles ausgeschaltet ist.

Meine Mutter weiss das noch besser. Ihr Erfahrungshorizont reicht zurück in eine Zeit, als nicht immer elektrisches Licht zur Verfügung stand, und auch nicht immer geheizt wurde, wenn es nötig war. Ihre Angst vor einem wirtschaftlichen Supergau hält sich deshalb in Grenzen. Sie würde sich dann in eine Decke einwickeln und eine Kerze anzünden, bemerkte sie lapidar. Daran ist bemerkenswert, dass sie ihr Leben nur bedingt weniger geniessen würde. Was für den einen das Ende der Welt bedeutet, ist für andere einfach nur ein anderer Zustand, der aber auch nicht so schlecht ist.

 

Die Digitale Welt hat allerdings inzwischen Anlauf genommen, ihr eigene Zustände zu erschaffen, die für viele von uns in Zukunft alernativlos werden könnten. Je mehr sich diese Entwicklung Bahn bricht, desto weniger hätte ich die Wahl. 

Damit hat das Digitale die Tendenz, in Kontrolltechnologien auszuarten, die den Mächtigen Instrumente an die Hand geben, so dass sie in vielen Bereichen meines Seins dort die Finger im Spiel haben könnten, wo ich in meiner Individualität zuhause bin. Und hier will ich mir von niemandem reinreden lassen. Diese Vorstellung ist sehr unangenehm. Es ist ein Unbehagen, das ich vermutlich mit vielen Menschen teile. Aber der Mensch ist in seiner Natur freiheitsliebend. Und deshalb ist mir auch hier nur bedingt bange.

 

Ich denke, das wir in einer Zeit leben, in der vieles aufbricht, ans Licht kommt und sich zum Besseren wandelt. Auch das Bewusstsein der Menschen erwacht in eine höhere Ebene hinein.

Die Wahrheit hat die Eigenart, ebenfalls ins Licht  zu drängen. Sie bricht sich ihre Bahn, kann zuweilen aber auch sehr geduldig sein.

 

Es gibt sogar mir ganz allein innewohnende Wahrheiten. Solche Wahrheiten haben wir alle. Wir wissen insgesheim. Ob wir unseren Wahrheiten folgen, oder aber sie verleugnen, das lebt jeder Mensch für sich ganz individuell in vielen Abstufungen und Varianten aus. Unleugbar ist aber, dass auch unsere individuellen Wahrheiten einen sanften, aber stetigen Druck auf uns ausüben und ans Licht drängen. Wir wissen das tief in uns. Was wir damit schliesslich konkret anfangen, bleibt uns selbst überlassen. Aber man kann wohl sagen, dass wir in dem Masse erhellt leben, in dem wir unsere Wahrheiten zulassen und ihnen in unserem Sein Raum geben.

Auf gesellschaftlicher Ebene wird es einem Volk umso besser gehen, je mehr es Tugenden wie Aufrichtigkeit, Integrität, Wohlwollen, schlicht dem Bemühen um das Wohlergehen aller Rechnung trägt, ohne dabei aber die grundlegende Härte des Seins und gerechten Wettbewerb zu verleugnen. Wir sind eben alle gleich, aber in keinster Weise dieselben.

 

Jeder hat also seine ganz eigene Wahrheit, die ihm gefälligst auch zu lassen ist. Und in unserer Zeit gilt das eben auch unbedingt für unser Sein in der digitalen Welt. Diese hat übrigens etwas, das für so ziemlich alles, bis auf die für jeden wenigen Ausnahmen gilt: dass sie nämlich absteht wie ein altes Bier, wenn man sich nicht aktiv einmischt und also nur passiv konsumiert. Zwar hält sie sich prächtig und die Menschen ordentlich bei der Stange. Aber irgendwann hat man mal genug Filme konsumiert, genug im Online-Sandkasten gespielt, genug von allem, was betäubt.

Und das ist eine gute Nachricht. Dann erlöscht nämlich das Feuer der Abhängigkeit oder lodert schliesslich nur noch lau.

 

Anders sieht die Sache aus, wenn man sich aktiv in was auch immer einmischt. Wenn jemand programmiert, lehrt, oder sonstige Plattformen betreibt, dann handeln Sie oder Er aktiv. Und damit ist der Spielraum einer proaktiven Entwicklung weit offen. Das Erleben einer solchen wirklichen Aktivität ist von einer höheren Qualität. Und sie hinterlässt keinen schalen Geschmack. Wie gut, dass es uns letztlich danach verlangt, unser Steuer wieder selbst in die Hand zu nehmen. Je früher, desto besser.

Proaktives Handeln hat ein bisschen was von einer Schatzsuche. In jedem von uns schlummert ein Schatz. Handeln wir proaktiv, wird er gehoben. Das Interessante daran ist, dass wir selber nicht genau wissen, was in der Truhe ist, bevor wir uns nach vorne bewegen. Wir haben zwar wohl eine Ahnung. Aber was schliesslich ans Licht kommt, ist dann doch wieder anders.

 

Der Weg entsteht beim Gehen. Und gehen muss ihn jeder für sich ganz allein. Da will ich mir nicht reinreden lassen. Welche Umwege ich gehe, welche Pausen ich mache, wie sehr oder wie wenig ich mich quäle, wie ich bin, wenn ich mein Ding mache, wie es sich für mich anfühlt, das muss mir keiner erzählen wollen, der nicht in meiner Haut steckt. Und schon gar nicht werde ich mir von anderen meinen Weg vorgeben lassen. Alles Roboterhafte macht mich latent agressiv. Es ist eben mein Weg, nicht der irgend eines anderen. 

Und da ist es mir egal, ob die Bühne die freie Natur oder die Welt des Digitalen ist. Es ist meine Spur, die ich ziehe. Wenn ich hinfalle, stehe ich selber wieder auf. Kein Babysitter notwendig, der mir erklärt, wann ich mich ausruhen soll. Meine Grenzen liegen in mir, und ich muss sie selbst ausmachen und mich überwinden. Watte und Weichheit, sanfte Gutmütigkeit sind hier keine Freunde. Denn ich will mich nicht einwickeln, nicht betten. Härte ist etwas sehr Menschliches. Es ist die Mutter des Guten Seins. Wo ich anfange und wo ich aufhöre – ganz meine Sache. Also, von daher und überhaupt, lasst mir meinen ganz normalen kleinen Wahnsinn, meinen Kampf, mein Stolpern, das Unfertige und den Zauber der Individualität. Und versucht nicht, mir zu erklären, dass es die nicht mehr gibt. Meine Freiheit und Individualität definieren mich ja geradezu als Mensch. Wer mir etwas anderes erzählen will, der zielt grob daneben, und hat schon dadurch sein Leben verfehlt. In jedem Fall aber muss er sich einen anderen suchen. Das Böse und der Gleichschritt liegen nahe beeinander. Der kleine Wahnsinn ist für mich ganz alleine, der grosse Wahnsinn ist für die Masse.

Wenn der Vorhang fällt, dann will ich getanzt haben. Wie und wo, davon weiss schliesslich niemand etwas.

 

Der Wind hat etwas sehr Bewegendes und ist überaus lebendig, aber man sieht ihn nicht. Wenn er die Gezeiten bewegt und Gesetztes aus den Angeln hebt, dann geschieht es wie von Zauberhand. Ich sehe ihn nur in der Spur, im Zittern der Palme, im wiegenden Schatten der Pinie, im Farbenspiel der Wolken mit dem Glitzern und Schäumen des Meeres. Im Spiel der ewigen Zeiten bin ich so wirklich wie der Wind. Ich hinterlasse unsichtbar eine Spur. Wenn ich gegangen bin, ist irgendwo eine Tasse gesprungen, aber ich habe wohl auch ein paar Gedanken und Taten verteilt, hingeweht, die unvorhersehbar aufgehen können. Im komplexten Lichterspiel des Lebens hatte ich mein kleines Feuerwerk – grosse Gefühle und gleichmässige Wiederholungen. Es wird sein, als wäre ich nie gewesen. Und doch war ich da. Und weil das verdammt besonders ist, geht es mächtige Gleichmacher und digitale Kraken tatsächlich einen Scheiss an. Denn sie wissen mit dem Leben nichts anzufangen. Ja, sie wissen überhaupt nicht, was Leben ist. Sie brechen es runter auf Nullen und Einsen, von mir aus auch Quanten. Aber ein einziger Atemzug, den Ich tue, ist von grösserer Tiefe und hat einen Zauber, den sie niemals erfassen können.

 

Ich nehme also das Unpersönliche durchaus persönlich. Das ist nur solange komisch, wie es nicht kafkaesk ist und sich nicht einmischt. Wenn es sich einmischt, hört der Spass auf. Wir haben den Datensalat, seinen Zauber und seinen Fluch in Unpersonalunion. Ich will mich auch nicht über etwas beschweren, das etwas Segenhaftes an sich hat. Aber die Einmischung muss sich in Grenzen halten.

Man muss die Tugenden und Werte wie eine gute Hand über das Abstrakte halten, muss es schön machen und verzaubern. Wir sollten es haben, es aber nicht uns. Wie das geht, das ist ein feines Arrangement, das jeder für sich ganz alleine finden muss. Die Grille zirpt, es ist ein gutmütiger Abend. Alles findet sich. Mein Blick auf die Welt entscheidet alles. Und wenn ich auch nackt bin – es geht keinen was an. Selbst wenn ich ein Kaiser wäre.

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