Nichts Neues unter der Sonne

Es macht Sinn, sich vor Augen zu halten, dass es nichts Neues unter der Sonne gibt. Wir sitzen auch heute auf Stühlen, deren Erfindung wenigstens bis auf die Zeit der Pharaonen zurückgeht. Ich sitze an einem Tisch, eine Erfindung die alleine in Europa schon locker 1500 Jahre hinter sich hat. Ich esse mit Messer und Gabel, wobei das Messer zu den ältesten Werkzeugen des Menschen zählt.

Das Essen, das Sitzen sowie das Laufen, also Nahrungsaufnahme und Fortbewegung sind uns in die Wiege gelegt. Sie definieren uns gewissermassen in unseren Urinstinkten und unserem Sein auf der untersten Ebene. Es sind Basics unserer Existenz. Das sieht man besser wertfrei. Basics sind Basics. Sie sind offensichtlich. Ein weiteres Basic wäre das Feuer. Wer sitzt nicht gerne vor dem Kamin oder am Lagerfeuer. Aber wir können noch weiter schauen: Wer bestaunt nicht ehrfurchtsvoll den Aufgang und den Untergang der Sonne?

Die Sonne auf der Haut, Wasser, Schlafen und Erwachen. Wir sind die Kinder eines sehr langen Kreislaufs, sind nur Vorübergehende, sind Krümel in den unendlichen Wanderschuhen der Gezeiten.

Aus der Ursuppe heraus haben wir es zu einigem modernen Schnickschnack gebracht. Und mitnichten will ich zurück in die Höhle. Es wäre verwegen, die Standards unserer modernen Zivilisation gering zu achten.

Tatsächlich sind sie grossartig. Und ein Fluch zugleich. Es ist die Neutralität der Dinge, die uns so vieles abfordert. Wir müssen uns in einer Welt orientieren, auf die wir eigentlich nicht gut vorbereitet sind.

In der Welt des Neandertalers war alles relevant: das Wetter, das Geraschel im Gebüsch, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Das Leben war kurz – was uns zu einer einer bemerkenswerten Tatsache bringt, die wir nur allzu gerne übersehen: dass es nämlich im Leben zunächst einmal ums Überleben geht. Wenn ich nicht überlebe, geht es nicht mehr weiter. Eine Firma, die nicht überlebt, muss sich über die nächste Marketingstrategie keine Gedanken mehr machen. Ein Auto, das nicht fährt, ist – wie wir seit Fredl Fesl wissen – nicht einmal die Hälfte wert.

Die Botschaft ist einfach: Ohne Basics kein Dasein und keine Daseinsberechtigung. Nur solange ich noch bin, kann ich mir Gedanken darüber machen, wer und wie ich sein und in der Welt sein will.

Und während wir nun sind, verzweifeln nicht wenige von uns an ihrem Sein. Und das, obwohl ihr Weiterbestehen durch Krankheit und Mangel nicht einmal in Frage gestellt ist.

Manche schaffen das Weiterleben nicht, obwohl es augenscheinlich noch gewährleistet ist und blasen sich das Lebenslicht aus. Aber sie tun das nicht, weil sie nicht leben wollen. Sie tun es, weil es ihnen nicht gelingt, zu leben. Ein Sein, dem sein Sein nicht gelingt, will vergehen. Das ist keine banale Angelegenheit.

Denn wir haben eben unser Sein nicht nur auf der physischen Ebene zu organisieren. Es muss uns auch gedanklich, mental und am besten auch spirituell gelingen. Die Höchste Stufe des Seins ist das Sein in Weisheit, das Sein im inneren Frieden. Es zeichnet sich aus durch einen meisterhaften Umgang mit der Angst und innerer Stärke. Gleichmut, Güte, Liebe, aber auch eine gesunde Härte sind Merkmale dieser besten Ebene des Existierens. An der Spitze dieses Weges steht Klarheit. Eine ungetrübte, tiefe Existenz, die ihren Platz im Spiel der Gezeiten in ihrer eigenen kurzen Zeit gefunden hat und auch einnimmt. Ein gelungenes Arrangement mit sich und der Welt.

Diese Verfassung aber erinnert mich an die Definition von Disziplin von Thomas von Aquin: “Eine Zucht voller Dienst, bei der am Ende die Fülle des Seins aufrauscht.”

Und in der Tat liegen innerer Friede und Disziplin nahe beieinander. Wenn ich mir gehören will, dann muss ich mir selbst auch gehorchen können. Je mehr mich mir gehorche, kann ich mir selbst vertrauen. Je mehr ich mir selbst vertrauen kann, desto ruhiger und friedlicher wird es in mir.

Wenn ich mir selbst ein Meister bin, dann wird die Welt um mich herum zur Bühne meiner Meisterschaft. Dann führe ich mein Leben. Es entwickelt sich weiter aus der Ruhe heraus, in der ich mir selbst vertraue. Ich lebe aus dieser inneren Verfassung, aus diesem In-mir-Ruhen.

Diesem Sein ist nichts zu nehmen, und nichts hinzuzufügen. Es ist aus sich selbst heraus – und damit ist es sich genug.

Die heutige technisierte Zivilisation unterschätzt diesen inneren Weg und macht aus ihm eine Gymnastik, Motivationslehren, Apps und Gadgets. Aber nichts davon wird es richten.

Wenn es etwas gibt, was es richtet, dann ist es die Ruhe, in der wir uns immer wieder selbst erfahren können. Es wird still um mich und in mir, und ich halte mich selbst und selbst aus.

In der Dunkelheit liegt schon der anbrechende Tag. Aus der Stille zwitschert der erste Vogel, am Horizont erahnt man das erste Licht. Keine Gefahr auf dem Schlachtfeld irdischen Treibens.

Was auch immer da rauscht und auf mich einstürmt. Ich habe in mir einen Ort erreicht, an dem ich stehen und allem standhalten kann. Hier kann ich sein, oder auch nicht mehr sein.

Ich bearbeite mein Schicksal so wie ich mein Messer schärfe zur haarfeinen Klinge. In meinem Vergehen ist kein Widerstand. Klar fliesst der Bach den Berg hinunter und trifft auf ein tanzendes Licht, wenn die Sonne aufgeht und das Leben erwacht.

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