Vom Bei-mir-Sein

Ich bin eigentlich ziemlich gerne bei mir. Was aber nicht verhindert, dass ich mich auch schon mal verliere. Dann bin ich weg von mir. Und das, obwohl ich doch im Grunde immer auch bei mir bin. Das ist paradox. Aber es ist wahr. Es ist in Ordnung, sich für einen Moment zu verlieren. Nicht in Ordnung ist es allerdings, wenn man sich vollständig abhanden kommt.

 

Das Sich-Abhandekommen kann schleichend passieren, oder ein ewiger Normalzustand sein. Meist ist es das Ergebnis eines unbewussten Seins. Manche oder mancher merkt, dass er sich abhanden gekommen ist. Andere merken es niemals, sondern es ist für sie schlicht der Normalzustand in einer dahin flirrenden Flüchtigkeit.

 

Wenn ich bei mir bin, dann spiele ich mein Spiel. Ich lebe ganz einfach mein Leben. Also kein anderes. Ich gehöre mir. Und das ist ein guter Zustand. Ein Zustand, der allerdings in Bewegung ist. Ich bewege mich nach vorne und bin Herr meines Spiels.

 

Woran aber mache ich das fest, dass ich wirklich mein Spiel spiele und mir nicht etwa in die eigene Tasche lüge? Da ist zunächst einmal meine Orientierung. Ich nehme mir etwas vor und folge meinem Vorsatz. Ich habe also eine Idee meiner Vorhaben und über mich selbst. Das kann ein Fitness- und Gesundheitsziel sein. Ich möchte also vielleicht fit werden, Kraft und Ausdauer aufbauen und beweglicher werden. Ich folge mir dann, indem ich tue, was notwendig ist, um meine Form zu verbessern. Die Richtung stimmt dann, und ich folge ihr. Orientierung funktioniert genauso für berufliche Ziele wie für mein Privatleben.

 

Ein weiterer Anhaltspunkt, sozusagen ein Pointer, der mir zeigt, ob ich mein Spiel spiele, ist Proaktivitàt. Wenn ich proaktiv bin, ergreife ich die Initiative. Ich handle dann, denke schriftlich, oder ich lerne etwas.

 

Nun könnte man doch annehmen, je proaktiver ich bin, desto weniger bin ich Opfer. Das stimmt aber nur, wenn ich aus einem Zustand der Klarheit heraus proaktiv bin. Denn sonst kann es leicht passieren, dass ich eher hyperaktiv bin. Hyperkativität hat etwas Getriebenes, und das ist hier nicht gemeint. Oft geht sie auch einher mit mehr oder weniger subtilen Angstgefühlen. Angst tragen wir gerne unter der Haut, ja sie wird einem Menschen, wenn er nicht gut auf sich aufpasst, gerne auch mal zur zweiten Haut. Angst ist sehr subtil, aber nichtsdestoweniger ungeheuer mächtig. Sie hat eine ungeheuer zerstörerische Kraft nach innen.

 

Proaktivität braucht also Orientierung und weitestgehende Angstfreiheit, oder eine Aktivität, die ihre Ängste kennt, sich ihrer also bewusst ist, und dann durch sie hindurch geht. So kann sich die Angst verwandeln, sie wird zum Pointer: wo die Angst ist, da muss ich hinschauen, da geht es lang.

Proaktiv können auch Handlungen sein, die eher ruhig und weniger dynamisch daher kommen. Meditation ist ruhig und unscheinbar, still nach aussen. Und doch ist sie, wenn gelungen, Präsenz in Reinform. Ich bin sozusagen hochaktiv, wenn ich die Leerheit geschehen lasse. 

 

Es kann nicht genug betont werden, dass Bei-Mir-Sein eine Seinsweise ist, bei der ich bestmöglich geklärt und orientiert bin.

 

Klarheit ist, wie Einfachheit, nicht nur ein stark unterschätzter Begriff, sondern eine Seinsweise, der ich mich stetig annähern kann, nicht zuletzt deshalb, weil ich mich nach ihrer Reinform sehne.

In der Klarheit liegt Kraft. Sie ist keine Kleinigkeit. Wenn ich mich in meinem Bei-Mir-Sein über mich hinausdehne, dann finde ich vielleicht auch inneren Frieden, eine Ruhe des Geistes, eine Stimmigkeit meines Seins, in der ich mich stark, sicher, aber auch geborgen, insgesamt erfüllt, energetisch und getragen fühle. Ohne ein Gefühl der Klarheit ist das undenkbar.

 

Ich rede von dieser Verfassung nicht als Momentaufnahme, sondern als einer Seinsweise, in deren Genuss ich gelange, weil ich im Tiefsten etwas verstanden habe.

Und obgleich ich hier von einem Zustand spreche, ist es doch etwas, worum ich immerzu bemüht sein muss, wenn ich es mit dem guten Leben und dem erfüllten Sein für mich ernst meine. Vielleicht wird das Ringen um das Höchste mit der Zeit etwas leiser, aber es ist doch immer ein Werden und von daher in Bewegung, so lange ich bin.

Wenn ich bei mir sein will, dann entscheide ich mich für Bewusstheit. Und das ist in der Regel anstrengender als ein Leben, in dem ich die Dinge schleifen und mich selbst gehen lasse. 

Allerdings ist es auch hier ein bisschen wie mit dem Autofahren. Am Anfang wirkt es auf mich kompliziert. Aber wenn ich es erst einmal gelernt habe, dann wird es einfach.

So ist es auch mit dem proaktiven, orientierten Leben, das um Klarheit und das gute Sein bemüht ist. Es ist zu Beginn wie ein Dschungel, durch den ich mir Wege bahne. Aber irgendwann kenne ich die Wege und Schneisen, kenne ich die Wege, die mich durch den Urwald an meine Ziele bringen.

Es schreibt sich leicht. Aber das Leben ist kein Blatt Papier, und schon gar nicht eine Datei.

 

Wir werden also immer mal wieder Phasen durchleben, in denen wir weniger klar, weniger bewusst sind. Aber es ist immer der Mühe wert, um die beste Version unserer selbst zu ringen. Wie schnell zieht das Leben. Wenn ich die Augen zu mache, will ich es gehabt haben. Noch ist Zeit. Und keiner weiss, wie weit man kommt. Aber so ist die Reise angelegt: ungewiss, kurz, aber auch lange, in der Zeit, die mal fliegt, mal ganz still ist, aber sicherlich und schliesslich eine Sprinterin. Ich will ihr und mir das Beste abgewinnen. Und auf dieses Beste gibt es nur eine Antwort: nämlich das Mass, in dem ich mich selbst überwunden habe, wenn der Vorhang fällt. Ich will mich weitestgehend möglich durchstiegen haben, bevor ich auf die andere Seite komme. Dafür will ich etwas leisten, so weit die Kräfte reichen.

 

Es hilft mir, dass ich es spielerisch nehme, dass ich leicht bin. Ich gehe hart mit mir ins Gericht, aber ich tanze auch. Manchmal schwebe ich sogar. Während nichts leicht ist, bin ich doch eine Feder. Im Zauber meiner Leichtigkeit spiegelt sich mir die Welt, die ich mir gestalte, und in der ich sein darf. Alles ist flüchtig. In meinem Tanz ringe ich um die Ewigkeit in meinem Vergehen. Das ist natürlich ganz lächerlich, aber eben auch ganz zauberhaft. Widersprüche lösen sich nicht einfach auf, aber sie verfliegen. Mein Hauch ist wie ein zarter Nebel, der mit dem Morgenrot aufsteigt an einem frühen Herbstmorgen. Ich erledige mich selbst, wenn die Sonne durchbricht. Und damit soll es auch gut sein.

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