Vom Schatten meiner Selbst

Wenn man seinen Traum lebt, dann ist es unbedingt angebracht, auch zu bemerken, wenn man in seinem Traum angekommen ist. Wie war das noch mal? Da hat man sich was vornommen. Und dann hat man es auch tatsächlich umgesetzt. Und wie ein Wunder kam es wie geplant. Ja. So etwas gibt es tatsächlich. Kein Witz. 

 

Aber wenn wir nicht aufpassen, bemerken wir es nicht einmal. Wir schwimmen auf eine ganz merkwürdige Weise immerzu im eigenen Saft. Unsere Chemie hat uns. Wir leben gewissermassen – jeder auf seine ganz eigene Art – in einem ganz individuellen Gefühl. Und dabei kommt mir immer wieder die Binsenweisheit in den Sinn, dass man nämlich ungefähr so glücklich ist, wie man sich vornimmt zu sein.

 

Was aber bedeutet das? Ist es wirlich so banal? Haben wir unser unser Wohlsein in der Hand, indem wir einfach mal mit dem Finger schnippen und rufen: Es werde Glück? Ja, und auch nein.

 

Tatsächlich haben wir es in der Hand. Wir können uns tatsächlich noch die Zitrone schmecken lassen, wenn das Schicksal zuschlägt. Und normalen Tagen können wir mehr Glück und Freude abgewinnen, indem wir ihnen unsere uneingeschränkte Bewusstheit zukommen lassen. In dem Sinn nämlich, dass sie tatsächlich Geschenke sind. Wenn wir das tatsächlich erkennen und wertschätzen, können wir unser Glücksgefühl auf der Wohlfühlskala für gute Tage um einiges nach oben leveln. Kleine Störungen und weniger wichtige und weniger gute Nachrichten können einen Sonnentag dann nur noch bedingt eintrüben.

 

Die Medaille hat allerdings zwei Seiten. Die zweite Seite der Medaille ist die Bereitung des Weges, den wir gehen. Zu glauben, das Leben sei einfach, ist naiv. Die richtige Einstellung ist zwar einiges wert, aber alleine wird sie es nicht richten. Man muss dem Glück schon auch auf die Sprünge helfen, damit das mit dem guten Leben gelingt. 

 

Dazu gehört, dass man die Härten des Lebens nicht verleugnet und Schicksalsschläge dementsprechend mit der notwendigen Haltung und grösstmöglicher Stärke bestmöglich managed. Und dazu gehört zudem die Vorausschau, mögliche Ursachen für Ungemach grossräumig zu umschiffen – also Prävention.

 

Beispiel gefällig? Es ist einfach. Wenn Sie rauchen oder regelmässig recht viel Alkohol trinken, dann ist das das Gegenteil von Prävention, wenn es um Ihre Gesundheit geht und mögliche Einschläge in der Zukunft, die für Sie mit jedem Tag näher kommen.

 

Ansonsten sind neben Ihrer Gesundheit Ihre Beziehungen, Ihr Beruf und die Handhabung Ihrer Finanzen die grossen Spielfelder, auf denen Ihr Leben stattfindet. Sie merken es bestimmt, wenn Ihre Beziehungen angeknackst sind, wenn Ihre Finanzen Ihnen Sorgen bereiten, oder wenn Ihnen Ihr Job keinen Spass macht.

 

Und wahrscheinlich wissen Sie auch, was Sie tun können, um Ihr Lebensschiff in all diesen Gewässern wieder auf Kurs zu bringen. Mein Tipp: Wenn Sie wissen, was zu tun ist, dann tun Sie es. Ob kleine Schritte oder Quantensprünge – das spielt zunächst einmal gar keine Rolle. Wichtig ist, dass Sie die Richtung verändern, damit die Dinge für Sie besser werden können.

 

Es funktioniert einfach nicht, alles beim Alten zu belassen und gleichzeitig zu hoffen, dass die Dinge besser werden. Es ist sogar eigentlich eine Definition von Wahnsinn. Aber das sind ja alles keine Neuigkeiten.

 

Das Verflixte ist ja, dass es eigentlich ganz einfach ist. Das Leben liegt uns zu Füssen. Und was machen wir? Wir treten nach, statt es auf dem Roten Teppich, der für uns ausgelegt ist, einfach abzuholen. Noch nie war es um uns so gut, und gleichzeitig so traurig bestellt. Alles ist da. Aber können wir es nehmen? Doch eher nicht. 

 

Die Crux is die Qual der Wahl. Wenn ich alles habe, zwischen allem auswählen kann, dann muss ich mich eben entscheiden. Hinzu kommt, dass wir in der Verschiebung von Belohnungen auch nicht so gut sind. Lieber den Spatz in der Hand, statt die Taube auf dem Dach. Was wir gleich haben können, ist uns näher als die tiefe Befriedigung in der Ferne, auf die wir hinarbeiten müssen. Alles Gute braucht Zeit. Oft viel mehr Zeit als uns lieb ist. 

 

Tatsächlich ist es aber genau das, was uns so sehr fehlt: das Gute, das seine Zeit braucht. Damit einher geht die Fähigkeit, an einer Sache dran zu bleiben, oft gepaart mit einem Vorgang des Lernens und in Konzentration.

 

Die Sprunghaftigkeit im Erhaschen der neuesten Nachrichten und Entwicklungen in den neuesten Videos und sonstigen Nachrichten des Tages ist nicht nur ein Problem, sondern eine handfeste Seuche, und für viele inzwischen eine Sucht. Sie geht einher mit dem allzu menschlichen Bedürfnis, den Heiligen Gral in einem Akt genialer Zauberei, im Geniestreich des Genius ein für allemal einzufangen und für die Ewigkeit, was ganz nebenbei das ewige Leben für uns mitbedeutet – zu gewinnen.

 

Aber: die Sache hat nicht nur einen Haken, sie ist auch ein fauler Zauber. Immer dann, wenn wir denken, wir haben es, haben wir es doch nicht. Die nächsten und neuesten Features richten es komischweise so gar nicht. Wir aber lassen uns nicht beirren und bleiben dran. Vielleicht ist ja das nächste Gadget das selig machende. Ganz bestimmt. Obwohl sich Hartnäckigkeit hier nicht auszahlt, bleiben wir an den schnelllebigen Erlösungsphantasien der aktuellsten News und den Spontankäufen des Allerneuesten merkwürdig zäh und immerzu ganz nahe dran. Obwohl wir hier nichts gewinnen, während uns unsere kostbarste Ressource wie Wasser im Sand verrinnt, nämlich die Zeit, sind wir hier keine Blitzmerker, sondern Junkies. Aber eine Sucht ist eben ein echt übles Ding. Nichts also, was sich gerade mal so von alleine erledigt. Eher etwas, das uns erledigt, wenn wir ihr nicht mit aller Entschlossenheit den Garaus machen. Bei Süchten geht es immer ums Ganze. Und zwar in beide Richtungen. Eine Sucht, die man nicht in den Griff bekommt, zieht Richtung Abgrund, hinein in Tiefen und Dunkelheiten, die einen wie im Sog eines Schwarzen Lochs zum endgültigen Verschwinden bringen. Was oft eher harmlos daher kommt, hat eine grosse Kraft und ist schneller, als wir glauben, denn es bewegt sich wie alles in der Zeit. Das Elend hat ein allzu alltägliches Gesicht, und man bemerkt es of kaum im Trubel des Gewöhnlichen. Der Tod ist ausgemacht. Das gute Leben keinesfalls.

 

Die Sucht verändert uns Stück für Stück. Sie verändert unser Gehirn, unsere Fähigkeit zur Konzentration, zum Fokussieren. Eines der schönsten Erlebnisse, die man als Mensch haben kann, nämlich das Aufgehen und Sich-Verlieren im Tun, lassen wir uns entgehen, weil wir uns schnelllebigem Tand an den Hals werfen. Hollywood glänzt und leuchtet. Der Blick hinter die Fassaden ist eher alltäglich und blass. Aber der Mensch will betrogen werden. Er geht dem Marktschreier immer wieder auf den Leim. Als ob es eine Abkürzung gebe. Aber es gibt sie nicht. Es hat sie nie gegeben.

 

Das gute Leben liegt im Fokus, im Wenigen, in der Einfachheit, der Reduktion, im Eindampfen auf das für jeden ganz Individuell Vorrangige. Und es liegt im Alltäglichen, in den Wiederholungen, in der Meditation, in der körperlichen Bewegung, im Kaffee.

 

Der Zauber des Seins ist hier zu finden. Und dazu braucht es eine gewisse Ruhe, einen inneren Frieden, einen Hafen, der sich halbwegs sicher anfühlt. Ich muss das gute Gefühl haben, dass die Welt heute noch nicht untergeht. Wer lange genug gelebt hat, der weiss, dass trotz aller apolkalyptischen Reiter und Erwartungen der endgültige Supergau und Garaus noch nicht eingetreten ist. Wir leben noch. Im Zuge dieser verinnerlichten Einsicht können wir unser Spiel auf Zeit ganz gut annehmen.

 

Und denken dabei doch meistens, dass es schon besser war. Aber stimmt das wirklich? Darüber lässt sich trefflich diskutieren, aber das führt nirgendwohin. Ich weis für mein Heute: Viele Möglichkeiten sind gegeben. 

 

Und selbstverständlich: Wenn ich lebe, und leben will, dann heisst das, dass ich den Tod in Kauf nehme. Immer. Der alte Schnitter ist immer mit im Spiel. Also liegt auch in der Akzeptanz unserer Endlichkeit ein gutes Stück Erlösung. Wenn ich damit einverstanden bin, dass mein Leben ein unbestimmtes, aber zuverlässiges Ablaufdatum in einer mehr oder weniger nahen Zukunft hat, dann wird es leichter. 

 

Ich weiss jetzt, dass ich im Vergehen bin, dass mein Leben eine Winzigkeit ist, deren Bedeutung in ihrem Mikrokosmos zwar durchaus gegeben ist – aber machen wir uns nichts vor. Ein Blick in den Sternenhimmel genügt. Ich bewege mich also auf mein Vergehen hin, auf meine Endstation hier im Irdischen. Ich weiss, dass ich damit leben muss. Die Frage ist aber: Kann ich damit leben? Also: Wie gehe ich damit um? Mein einziges Abenteuer ist das Abenteuer des Seins, also das meines Lebens und dem, was danach kommt oder nicht. Ich bin schon verloren. Aber was fange ich damit nun an? Ich kann diese Binsenweisheit meines Vergehens in ein Gefühl giessen, dass der unvermeidlich schwindenden Ressource Zeit in ihrer letztlich mit Gold nicht aufwiegbaren Werthaftigkeit versucht, annähernd gerecht zu werden. Ich kann es sogar in eine Haltung und in eine Lebensphilosophie giessen.

 

Ich will dieses Vergehen überwinden. Nicht, indem ich ihm aus dem Weg gehe, nicht indem ich die Wirklichkeit meiner Flüchtigkeit leugne – Ich will es überwinden, indem ich mich selbst überwinde und erhebe gegen den Wahnsinn der Unendlichkeit der Weite und der Zeit, gegen das Leuchten der unendlichen Sterne und die Dunkelheit des Nichts. Mich selbst kann ich in meiner Zeit all dem entgegensetzen.

 

Vielleicht kann ich das Spiel auf eine merkwürdige Art und Weise gewinnen. Nämlich indem ich mich auf das Abenteuer Leben gänzlich einlasse. Und zwar nicht so sehr im Wettbewerb mit der Welt da draussen, sondern vor allem im Wettbewerb mit mir selbst. Wenn ich der Beste werden will, der ich sein kann – und zwar in den Themen, die ich lebe, dann ziehe ich meine Spur zu den Horizonten, die ich in meiner Lebensspanne erreichen kann. Der Weg zu diesen Horizonten beherbergt eine ganze Menge Leben. Und darauf kommt es an: Auf diese Verfassung, auf die Verlebendisierung meines Daseins. Ich kann meine Energie steigern, ich kann tun, was schwierig ist, ich kann mich dabei als Überwinder in die Pflicht nehmen. 

 

Ich fange also im Kleinen, im Nächstliegenden, nämlich bei mir selbst und mir zu Füssen an. Wir sind nicht selten das Opfer unserer Gewohnheiten. Einfach deshalb, weil sie schlecht sind. Eine Routine, die nichts taugt, hält sich zuweilen ohne Probleme ein Leben lang. Klare, bewusste Entscheidungen helfen mir, mich aus schlechten Routinen zu befreien. Um solche zu treffen, muss ich mich bewusst einklinken. Wenn ich mein Leben laufen lasse, entgleitet es mir. Und das passiert erstaunlich schnell. Also klinke ich mich genau hier ein.

 

Ich denke über meine Routinen nach, prüfe mich, nehme mich raus aus dem Automatismus, meine Endlichkeit fest im Blick. 

 

Dann, nachdem ich das getan habe und meine Schlüsse gezogen und ein paar wichtige Entscheidungen gefällt habe, gehe ich weiter.

 

Jetzt folge ich meinen Einsichten. Ich nehme mich aus meinem ach so gemütlichen Autpiloten raus, damit ich am Ende nicht feststelle, ganz automatisiert an mir vorbeigelebt zu haben. Ich will auf der Ziellinie meines Lebens nicht vom Schatten meiner selbst überholt werden.

 

Ich tue, was schwierig ist. Ich überwinde mich als der frühe Vogel, der den Wurm fängt, als Aufsteher zu Nachtzeiten, und indem mich körperlich fit halte, gesund ernähre. Das volle Programm, grosses Küssen, weite Spaziergänge, tiefes Atmen, Ausdruck in Reinform. In der Vorbereitung auf eine Ewigkeit Leben vollbringe ich ein kleines Kunststück: dass es mir nämlich gerade heute gut gelingt. Ich brenne, bin lebendige Flamme bis zur Asche. Und das war dann alles: dass ich einfach mal wirklich da gewesen bin.

 

 

Have a good day….and a good life!

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